Am 26. April erschien die Neuauflage des nunmehr ein Jahr alten Action-Rollenspiels Dragon's
Dogma. Dieses Spiel trägt nun den Beinahmen Dark Arisen und schickt euch auf die Insel Finstergram, wo euch neue und noch fiesere Gegner an den Kragen wollen. Nun gut, ich selbst habe Dragon's Dogma natürlich völlig verschlafen. Jedoch habe ich das Erscheinen der Neuauflage als Ansporn genutzt und will nun meine Eindrücke vom Hauptspiel schildern.
Zur Story: Ein grimmiger und riesengroßer Lindwurm legt aus purer
Zerstörungslust nicht nur das heroische Dorf Kassardis in Schutt und
Asche, sondern reißt dem Helden des Spiels, der sich dem fiesen
Drachen mutig entgegenstellt, auch gleich das Herz aus der Brust. Der
segnet aber nicht das Zeitliche, sondern darf stattdessen, als
"Erweckte(r)" auserkoren, das Land Gransys von der
Drachengefahr befreien und das gestohlene Herz wiederbeschaffen. Die
ganze Angelegenheit ist aber leider nicht so romantisch wie sie
klingt, denn dem Helden erwartet eine steinige Reise, kreuz und quer
durch eine klassische, westlich angehauchte Fantasy-Welt.
Nach einer kurzen, in der Vergangenheit angesiedelten
Tutorialmission, darf man sich nun im Charaktereditor austoben und
sein Alter Ego gestalten. Männchen oder Weibchen, Schönheit oder
markantes Narbengesicht – von Kopf bis Fuß darf man hier das
Bastelwerkzeug schwingen und ordentlich experimentieren. Und ist ein
Charaktereditor wirklich gut, verbringe ich auch gerne mal den
gesamten ersten Spieleabend damit: Ein zwei-Meter- Muskelberg mit
Pippi-Lotta- Gedächtnisfrisur? Eine schmächtige aber vollbusige
Blondine mit der tiefen Stimme eines Tenors? Alles ist möglich.
Nach dem Intro darf nun aus drei Klassen (Magier, Kämpfer und Streicher), der Favorit ausgewählt werden. Weil ich mit Stöckchenschießern und Kräutersammlern nichts anfangen kann, habe ich natürlich den Kämpfer genommen. Huargh! Im Laufe des Spiels ist es möglich seine Klasse weiterzuentwickeln. So habe ich die Wahl meinen einfachen Kämpfer beispielsweise zu einen mystischen Ritter zu befördern, der Schwert und Magie in Kombination einsetzt. Brauche ich eine Horizonterweiterung (oder eher eine Horizonterneuerung), bietet mir das Spiel die Möglichkeit, im nächsten Gasthaus einfach die Klasse zu wechseln. Hier lässt einem Capcom sehr viel Freiraum in der Charakterentwicklung – ob das nun gut oder schlecht ist, muss jeder für sich selbst behaupten, da auf der anderen Seite der Wiederspielwert natürlich gen Nullpunkt sinkt.
Der/ Die Erweckte wird in diesem RPG wohl nicht eurer vollständigen
Aufmerksamkeit zum Teil. So dürft ihr euch nach kurzer Spielzeit ein
Helferlein basteln. Geschlecht, Aussehen und Klasse – auch hier
darf alles bestimmt und angepasst werden. Denn das Spielelement,
welches Dragon's Dogma von Genrevertretern abhebt, ist das sogenannte
Vasallensystem. Euer Helferlein, der sogenannte Hauptvasalle, wird
fortan mit euch auf Drachenjagt gehen. Stirbt er, ist er für immer
verloren. Und das finde ich klasse! Nein ich habe natürlich kein
Herz aus Stein, aber so wird eine richtige emotionale Beziehung zur
Figur aufgebaut. Neben eurem Hauptvasallen dürfen noch zwei weitere
treue Begleiter an eurer Seiten kämpfen. Die rekrutiert ihr entweder
in einer Parallelwelt, dem Rift, oder gabelt sie am Wegesrand auf. Im
Unterschied zum Hauptvasallen, können sie weder aufleveln, noch
können ihre Fähigkeiten bestimmt werden. So seid ihr gezwungen,
Nebenvasallen aus taktischen Gründen immer wieder auszutauschen.
Schade für dich Emilio, aber die Cassandra hat einfach bessere
Qualitäten. In Puncto Heilzauber versteht sich... ähäm.
Der Einstieg erweist sich als unbequem – ja, das Spiel wirft einen
regelrecht ins kalte Wasser. Als ich das Heimatdorf Kassardis zum
ersten mal verließ, wurde ich direkt von einer kleinen gemeinen
Koboldhorde den rauen Sitten Gransys' vorgestellt, an der
ritterlichen Unterhose gepackt und nach allen Regeln des Landes durch
den Dreck gezogen - und das sollte nicht das erste Mal gewesen sein.
In den ersten Spielstunden ist man nicht nur wörtlich, sondern auch
metaphorisch arm dran. Keine Muckis, keine Ausdauer, keine Kohle für
ordentliches Rüstzeug, kein nichts. Erst ab Level 10 (und nach 10
Spielstunden) hatte ich das Gefühl, den anfänglichen Koboldhorden,
Harpyienschwärmen und dem Diebesgesindel zumindest ansatzweise
überlegen zu sein. Man merkt schnell, dass man mit einer
Mitten-ins-Antlitz-Philosophie in diesem Spiel nicht weit kommen
wird. Jeder Gegner bedarf einer anderen Angriffsstrategie: Während
es sich bei einem Zyklopen als vorteilhaft erweist, auf dessen Buckel
zu klettern und von dort aus auf ihn einzudreschen, wirft sich ein
Oger sofort aufs Rückgrat und verarbeitet den störenden
Kletteraffen zu Muß. Und Ja, ihr habt richtig gelesen, man kann sich
an Gegner festkrallen – zumindest an den großen Viechern. Die
kleinen könnt ihr stattdessen am Boden festhalten, damit euer
Vasalle ihn mit der Axt bearbeiten kann. Ja bitte schön lieber
Knappe und wem gebührt jetzt der Ruhm?...
Das Kampfsystem erweist sich als äußerst spaßig und ist mit dessen Kletter-feature in gewisser Weise einzigartig. Würde ich ein Wort wählen, welches das Kampfsystem in Dragon's Dogma am besten zusammenfasst, so wäre es: wuchtig! Mir wird ständig vermittelt, dass das Eisenschwert, welches mein Held schwingt auch ordentlich Wumms in der Stange hat. Den Schaden, den ich austeile und den Schaden, den ich einstecke, merke ich einfach - wenn auch nicht am eigenen Körper. Dafür macht die großartige Soundkulisse einiges her: Da rummst es und wummst es, da klirren die Schwerter und da zischt das Feuer des Erzmagiers. Die Kämpfe sehen einfach großartig aus und sind eine der großen Stärken des Spiels.
Jedoch macht Dragon's Dogma in puncto Story-Inszenierung einige Abstriche. Nichts hindert mehr an dem Aufbau des Gefühls eine epische Geschichte mitzuerleben, als NPC's, die vogelscheuchenartig vor der eigenen Spielfigur stehen, diese mit großen Augen anstarren und die nächste Mission herunterrattern. Nun ist Dragon's Dogma ein japanisches Spiel und Japaner mögen zum Glück Zwischensequenzen. Diese kommen sehr wohl in Dragon's Dogma, den Vogelscheuchen und starren Gesichtern zum Trotz, zum Einsatz und das rechne ich den Jungs und Mädels aus dem fernen Osten wirklich hoch an. Schade nur, dass die dickbrüstige Blondine ihre Tenorstimme gar nicht präsentieren kann. Der eigene Charakter bleibt leider stumm. Ja wirklich – und zwar das gesamte Spiel über. Es ist verschenktes Potential, wenn ein Spiel versucht mit Zwischensequenzen zu trumpfen, die eigene Spielfigur aber nur als schmückendes Beiwerk glänzen kann und allerhöchstens froh, böse oder erstaunt dreinschaut. Schade, dabei machen die englischen und die japanischen Sprecher ihren Job echt gut.
Das fehlende Schnellreisesystem bringt zunächst ein weiteres großes
Manko zu Tage. Anfangs störte mich dieser Faktor immens, nachhaltig
verwöhnt (und anscheinend auch verweichlicht) von über einhundert
Stunden Aufenthalt in Himmelsrand, wo ich mich entgegen jeglicher
physikalischer Entdeckung gemächlich von Ort zu Ort beamen konnte.
Dem Spieler soll in Dragon's Dogma lediglich gegönnt sein, mit Hilfe
eines teuren Reisesteins entweder in die nördliche Hauptstadt Gran
Soren, oder in die südliche Heimat Kassardis zu springen. Ich bin
keineswegs masochistisch, aber ich merkte nach einigen Stunden in der
Haut des herzlosen Lindwurmjägers, dass das fehlende komfortable
Teleportieren doch seine Vorzüge hat. Diese Vorzüge stellen sich
letztendlich als so gewichtig heraus, als dass sie dem gesamten
Spielerlebnis seinen Unikatsstempel aufdrücken. Wie jetzt?
Jede Quest und jeder Auftrag wird in Dragon's Dogma zu etwas Besonderem: Als potentieller Drachentöter ist es stets von größter Wichtigkeit, gut auf jede anstehende Reise vorbereitet zu sein: Häuser werden auf Herz und Nieren beziehungsweise auf Heilkräuter und Nahrung untersucht; das Umland Grand Sorens wird abgegrast und jeder Büffel erlegt, bis das nötige Kleingeld für jenen mächtigen Zweihänder vorhanden ist, der im Waffen-Shop vor sich hin verstaubt und danach schreit, endlich das Blut des Feindes zu riechen. Auch sollte darauf geachtet werden, rüstungstechnisch immer auf dem neusten Stand zu sein und die wertvolle Schutzkleidung beim örtlichen Waffenhändler mit gesammelten Materialien und einer ordentlichen Stange Gold aufrüsten zu lassen. Es ist wichtig - nein, lebensnotwendig, stets ausgeschlafen und möglichst früh am Morgen die Wanderstiefel zu schnüren. Denn anders als beispielsweise in den Elder-Scrolls-Spielen, wo der Einzug der Nacht Dorfbewohner einzig dazu verleitet, die Pforten ihrer Häuser und Geschäfte bis zum Anbruch des nächsten Morgens dicht zu machen, spielt der Faktor Tageszeit in Dragon's Dogma eine existenzielle Rolle: Das Wort Dunkelheit wird hier ziemlich ernst genommen, und wenn erst einmal die Nacht auch den mutigsten Helden und dessen treue Vasallen in Dunkelheit hüllt, machen sich diese besonders zu Anfang des Abenteuers schnell ins Kettenhemd. Lediglich mit einer spärlich leuchtenden Laterne ausgerüstet sollte im Ernstfall darauf geachtet werden, auf dem Reisepfad zu bleiben und diesen möglichst nicht zu verlassen. Auf Abwegen kann auch ein vermeidlich harmloses Wolfsrudel die Heldentruppe bei stark eingeschränkter Sicht schnell in Stücke reißen.
Die notwendige Vorbereitung und Planung jeder Reise macht deutlich,
welch raues Pflaster die Spielwelt Gransys doch ist. Der/ Die
"Erweckte" ist kein bedürfnisloser und unbesiegbarer
Mensch aus Stahl. Für die einen, möge Dragon's Dogma deshalb
unzugänglich und sperrig sein. Für mich lösen diese Faktoren eine
ungemeine Faszination aus und machen das Spiel erst so richtig
spannend.
Dieses Spiel braucht Zeit. Dieses Spiel braucht euer Blut, eure
Geduld und eine große Menge Spucke. Aber gebt dem Ding eine Chance.
Denn hat man das Kampfsystem durchschaut und sich den Vasallen
anvertraut, merkt man nicht nur, dass sich der erste Teil des Satzes
reimt, sondern hat auch mit Dragon's Dogma ein komplexes und
stimmiges RPG gefunden, dessen Nachfolger mit etwas mehr Feinschliff
weit mehr als nur ein Geheimtipp sein kann.
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