Sonntag, 30. Juni 2013

The Bleeding Effect - Alles reine Kopfsache

Der ,,Bleeding-Effect", bekannt aus dem Assassin's Creed Franchise, meint zum einen Schädigungen im Hirn einer Person, die sich zu lange im ,,Animus" aufgehalten hat. Die Folge ist eine Vermischung von Gegenwart und Vergangenheit. Andererseits verhilft der ,,Bleeding-Effekt“ dazu, im Animus nacherlebte Fähigkeiten und Eigenschaften auch ohne Animus in der Realität anwenden zu können. Ach ja, ich vermeide bewusst den deutschen Begriff (Sicker-Effekt): Wenn mein Kaffee morgens nicht richtig durchsickert, verpasse ich die Bahn – das ist mein persönlicher Sicker-Effekt. Wie auch immer – ich habe mir erlaubt, den ,,Bleeding-Effect" auf die Realität zu übertragen - und da wären wir sogleich beim Thema. Ihr kennt das: Man zockt ein Spiel stundenlang und kann auch nicht aufhören an dieses Spiel zu denken, wenn man den Controller schon längst beiseite gelegt hat. Wenn man sich dann anderweitig beschäftigt und meint, vollkommen abgelenkt zu sein, kommt er schleichend aber sicher daher: Der Mindfuck. Was wie meinen? Zur Veranschaulichung folgen drei selbst erlebte Beispiele des ,,Bleeding-Effects", aufsteigend geordnet nach deren Intensität.


Als Ende 2007 Guitar Hero III – Legends of Rock auf dem Markt kam, erreichte schließlich auch mich der Hype um das Musikspiel. Ich spielte mit Freunden zusammen im Team oder in heißen Gitarrenschlachten gegeneinander. Weil ich so ehrgeizig bin, wollte ich natürlich besser sein als sie. Also spielte ich und spielte ich und trainierte wie verrückt: leicht, mittel, schwer, profi, online.... Eines Abends hatte ich dann tatsächlich zu viel des Guten: Ich zockte online und ein verrückter Mensch wollte doch tatsächlich Through the Fire and Flames von Dragonforce mit mir jammen – auf Profi natürlich... Um den Gott des Rock nicht zu erzürnen, kämpfte ich mich tapfer durch den Song. Als würdige Kriegerin konnte ich den Gitarrencontroller endlich beiseite legen und ins Reich der Träume eintreten. Als ich die Augen schloss, um meine Heldentaten Revue passieren zu lassen, kam er schleichend daher: Der Mindfuck: Grün, Rot, Blau, Gelb, Orange. Ein Farbspektakel wie auf einer indischen Holi-Feier. Es war so, als würde ich auf einem Hippiefestival der vergangen Tage im Campingstuhl vor einem VW-Bus in den Sternenhimmel starren. Und wir wissen alle, dass ein Sternenhimmel normalerweise nicht bunt ist.

Der zweite Vorfall ereignet sich wohl öfter als mir lieb ist und scheint ein weit verbreitetes Phänomen in der Gamingwelt zu sein: Meine Heimatstadt, das schöne Braunschweig, verfügt nicht nur über eine mittelalterliche Altstadt (Funfact: da wurde sogar eine Szene des Trashfilms ,,Hänsel und Gretel: Hexenjäger“ gedreht - na sehr schön), sondern auch über eine Menge Kirchen. Na? Man ahnt es schon. Ich kann einfach nicht in der Stadt herumlaufen, ohne mich zu fragen, ob es denn möglich ist, die soeben entdeckte Kirche zu erklimmen. Was folgt, ist ein regelrechtes Analyseschema: Reichen die Abstände der Fenster wohl aus? Ist dieser Vorsprung wohl breit genug? Und wenn der Assassine (oder gar ich selbst) oben ist, kann er dann auch wieder sicher unten ankommen? Der kleine Assassine in meinem Kopf krabbelt dann einmal den Weg zur Spitze ab. Ist er nach einem Leap of Faith wieder auf festen Boden, kann auch ich beruhigt meine Wege in der Innenstadt erledigen. Im Falle eines Falles muss auch ein Couch-Assassine drohenden Templerverschwörungen und Weltuntergangsszenarios gewappnet sein, oder?


Das letzte Beispiel, ist erst letzte Woche genau so vorgefallen: Ich war in Hamburg und wenn man in Hamburg unterwegs ist hat man irgendwann Hunger. Quatsch, nicht auf einen Hamburger. Dann lieber ein leckeres Falafel-Fladenbrot. Auf dem Weg zum Hotel, liefen mein Freund und ich zufällig ein einem vielversprechenden Falafel-Laden vorbei. Da wir vor dem Essen noch rechtzeitig einchecken mussten, kam ich auf eine tolle Idee. Ja gut, jetzt ich muss mal wieder kurz ausholen: Man ist in einem Open-World-Spiel alá Grand Theft Auto oder Red Dead Redemption unterwegs, entdeckt einen coolen Spot, befindet sich aber gerade in einer Hauptmission und hat de facto keine Zeit, das Ding genauer unter die Lupe zu nehmen. Für diese Problematik gibt es eine kleine Abhilfe - dachte ich mir auch in Hamburg: ,,Komm, bevor wir noch vergessen wo das Falafelgeschäft ist, markieren wir uns doch den Punkt auf der Wegekarte"... Und nein, damit meinte ich nicht Google-Maps. Und nein, wir hatten auch keinen Stadtplan dabei.

Wenn man zu viel Zeit mit seinem Lieblingsgame verbringt, beginnt man damit, seine Denkmuster an dieses Spiel anzupassen. Das Ganze passiert dabei anscheinend nicht einmal bewusst. Genau wie beim ,,Bleeding-Effect" in Assassin's Creed tritt eine Vermischung von Virtualität und Realität ein, welche sich dann durch besagte Mindfucks in verschiedenster Weise ausdrückt. Während man sich beim Guitar-Hero-Vorfall eher in einer Art Drogenrausch befindet, hat das sogenannte Kirchen-Phänomen einen ernsteren Hintergrund: Stets einen verzwickten Templer-Komplott im Hinterkopf, stehen Trainings -und Vorbereitungsmaßnamen sowie taktisch-analytische Vorausplanung im Vordergrund. Da bekommt die moderne Debatte ,,Der Mensch als Weltretter“ plötzlich eine ganz neue Bedeutung. Auf die Lernkomponente des Effekts, welche mir ermöglicht, irgendwann mal eine Kirche erklimmen zu können, warte ich noch geduldig. Natürlich ist das alles reine Kopfsache und ich müsste wohl irgendeine Art von Psychologe sein, um genauere Vorgänge, die in unserem Hirn ablaufen, erklären zu können. Aber die Sache mit dem ,,Bleeding-Effect" klingt mit einem zwinkernden Auge ganz plausibel, nicht war ? ;)

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