Sonntag, 18. August 2013

Handbuch

Ich bin eine erfahrene Gamerin und Knöpfedrückerin. Trotzdem schaue ich IMMER zuerst in das Handbuch, bevor meine Konsole eine neue Videospiel-Errungenschaft zum laufen bringt. Das ist ein kleiner Ritus, der (auch mir selbst) im ersten Augenblick viel zu banal erscheint, um überhaupt nur ansatzweise erklärt zu werden. Dennoch, je länger ich über diese kleinen Beihefte nachdenke und je länger ich mit diesem Blogeintrag beschäftigt bin, wird mir klar, wie wichtig diese vermeidlich banale Komponente doch ist.


Ich beginne mit meinen schönsten Handbucherinnerungen: Da wären zum einen die tollen Charakterkurzportraits in den Final-Fantasy-Beiheften, die ich mit Freude immer wieder durchlaß: ,,Ist es überhaupt möglich, die eigene Existenz zu beweisen...?“. Na zu wem gehört dieses nette Zitat? Wie oft habe ich mir die (Spiel)Werbeanzeigen im GTA San Andreas Büchlein angeschaut und mich köstlich darüber amüsiert? ,,Drive Thru Confessions: Beichten rund um die Uhr - Park n' Pray“ - herrlich. Zurückblickend ist wohl das Handbuch zu GTA: SA das von mir am meistens benutzte: Erst kürzlich suchte ich im Stile der alten Schule in den Listen der verschiedenen Radiosender nach Künstlern für eine San-Andreas-Playlist für meinen MP3-Player. Das Heftchen ist zwar schon mächtig abgegrabbelt, aber wenn ich es aufschlage, steigt mir immer noch ein vertrauter Geruch entgegen, und mit ihm, Erinnerungen an längst vergangene Zock-Zeiten, in denen ich Baggypants trug und ein Poster von 50 Cent aufhing.
Zu guter Letzt wären da noch die kleinen Comics in den Handbüchern von Metal Gear Solid. Wird es je eine coolere Methode geben, dem Spieler einfachste Spielmechaniken nahezulegen? ,,Manchmal taucht der Feind völlig unerwartet auf. SNAP! Nutzen Sie die Natur zu ihrem Vorteil [...] Snake? Sie tragen ja gar keine Oberbekleidung! Nutzen Sie Tarnung, um mit ihrer Umwelt zu verschmelzen“.

Heute ist das klassische Handbuch bzw. die klassische Spielanleitung eine höchst gefährdete Gattung, die der Furcht unterliegt, endgültig auf den Friedhof längst überholter Videospielkomponenten und Videospielpraktiken verbannt zu werden. Auf diesem Friedhof ruht beispielsweise das gute alte Link-Kabel für den Game Boy oder die Praktik des Pustens in den Kartenschlitz eines disfunktionalen SNES-Spiels (was komischerweise immer half).
EA beispielsweise setzt schon seit einiger Zeit nicht mehr auf die Heftchen – wegen Umweltschutz in erster Linie, wobei ich eher auf das Pro der Kostenersparnisse tippe. Öffne ich die Hülle von Mass Effect 2 oder Battlefield 3, springt mir lediglich ein Zettel mit der Aufschrift ,,Online-Pass“ entgegen. Vielleicht noch ein Flyer, der für das nächste Medal of Honor wirbt. Aber weit und breit kein Handbuch...
Wie auch immer – ich vermisse die Dinger. Ja ernsthaft! Einige denken sich sicher: „Handbücher sind nur für Dummies“, oder: ,,ins Handbuch schau ich eh nie, da zocke ich lieber gleich los“. Aber für mich hat das klassische Handbuch, wie eingangs erwähnt, eine ganz andere Funktion, als die alleinige Bereitstellung von Steuerungs- und Gesundheitsinformationen.

Genau so wie das genüssliche Abziehen der Folie, das erste Herausnehmen sowie das erste Einlegen der Disc, ist auch das Handbuch ein wichtiger Bestandteil beim Ritus des Spielerwerbs! Genauer gesagt, ist es das Erschnuppern des frischen Duftes eines brandneuen Games. Und nicht nur das – Wie wundervoll ist das Durchfliegen der Seiten des Heftes, um die ersten kleinen Einblicke in das Spiel zu bekommen und diese dann mit allen Sinnen aufzusaugen? Ein Handbuch verleiht dem Spiel Gewicht: Ich halte etwas schweres in den Händen. Ich habe etwas erworben und nicht etwa eine halbgare, werberische Verpackungsleiche.

Unvergesslich: Die Metal-Gear-Comics

Der Ladebalken der Vorfreude, der nach der finalen Kaufentscheidung langsam beginnt, sich zu füllen und nach dem Entpacken des gewünschten Spiels seinen vorläufigen Höhepunkt erreicht, wird durch den sinnlichen Umgang mit dem Handbuch nahe gen einhundert Prozent getrieben. Erwerben, entpacken, einlegen, betrachten, erschnuppern, erfühlen... Prozeduren und Rituale, die parallel zum eigentlichen Akt des Videospielens ablaufen, können nämlich so sinnlich sein wie jener Akt des Spielens selbst.
Zu diesen Ritualen gehört sicher nicht nur das thematisierte kleine Beiheft: Den physischen Erwerb des Spiels im klassischen Geschäft oder das weiter oben erwähnte ,,Entkleiden“ der Hülle zähle ich unweigerlich dazu. Deshalb stehe ich dem reinen Download eines Spiels nach wie vor skeptisch gegenüber: Ich sehe nichts, fühle nichts und halte nichts in den Händen. Stattdessen habe ich eine große Datengrütze auf der Konsole oder auf dem PC, zu der ich keine emotionale Beziehung aufbauen kann. Richtig verstanden: Ich baue eine Emotionale Beziehung zu meinem physisch erstandenen Spiel auf!

Erwerben, entkleiden, einlegen; Betrachten, erschnuppern, erfühlen... nun das klingt etwas off-topic und vielleicht etwas merkwürdig, wenn man erst ab diesem Absatz mit dem Lesen beginnt. Aber nein, ich habe keine Scheu, die Sache auf den Punkt zu bringen: Das Handbuch ist sexy.


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