Ich bin eine
erfahrene Gamerin und Knöpfedrückerin. Trotzdem schaue ich IMMER
zuerst in das Handbuch, bevor meine Konsole eine neue
Videospiel-Errungenschaft zum laufen bringt. Das ist ein kleiner
Ritus, der (auch mir selbst) im ersten Augenblick viel zu banal
erscheint, um überhaupt nur ansatzweise erklärt zu werden. Dennoch,
je länger ich über diese kleinen Beihefte nachdenke und je länger
ich mit diesem Blogeintrag beschäftigt bin, wird mir klar, wie
wichtig diese vermeidlich banale Komponente doch ist.
Ich beginne mit meinen schönsten Handbucherinnerungen: Da wären zum einen die tollen Charakterkurzportraits in den Final-Fantasy-Beiheften, die ich mit Freude immer wieder durchlaß: ,,Ist es überhaupt möglich, die eigene Existenz zu beweisen...?“. Na zu wem gehört dieses nette Zitat? Wie oft habe ich mir die (Spiel)Werbeanzeigen im GTA San Andreas Büchlein angeschaut und mich köstlich darüber amüsiert? ,,Drive Thru Confessions: Beichten rund um die Uhr - Park n' Pray“ - herrlich. Zurückblickend ist wohl das Handbuch zu GTA: SA das von mir am meistens benutzte: Erst kürzlich suchte ich im Stile der alten Schule in den Listen der verschiedenen Radiosender nach Künstlern für eine San-Andreas-Playlist für meinen MP3-Player. Das Heftchen ist zwar schon mächtig abgegrabbelt, aber wenn ich es aufschlage, steigt mir immer noch ein vertrauter Geruch entgegen, und mit ihm, Erinnerungen an längst vergangene Zock-Zeiten, in denen ich Baggypants trug und ein Poster von 50 Cent aufhing.
Zu guter Letzt
wären da noch die kleinen Comics in den Handbüchern von Metal Gear
Solid. Wird es je eine coolere Methode geben, dem Spieler einfachste
Spielmechaniken nahezulegen? ,,Manchmal taucht der Feind völlig
unerwartet auf. SNAP! Nutzen Sie die Natur zu ihrem Vorteil [...]
Snake? Sie tragen ja gar keine Oberbekleidung! Nutzen Sie Tarnung, um
mit ihrer Umwelt zu verschmelzen“.
Heute ist das
klassische Handbuch bzw. die klassische Spielanleitung eine höchst gefährdete Gattung, die der Furcht
unterliegt, endgültig auf den Friedhof längst überholter
Videospielkomponenten und Videospielpraktiken verbannt zu werden. Auf
diesem Friedhof ruht beispielsweise das gute alte Link-Kabel für den
Game Boy oder die Praktik des Pustens in den Kartenschlitz eines
disfunktionalen SNES-Spiels (was komischerweise immer half).
EA beispielsweise
setzt schon seit einiger Zeit nicht mehr auf die Heftchen – wegen
Umweltschutz in erster Linie, wobei ich eher auf das Pro der
Kostenersparnisse tippe. Öffne ich die Hülle von Mass Effect 2 oder
Battlefield 3, springt mir lediglich ein Zettel mit der Aufschrift
,,Online-Pass“ entgegen. Vielleicht noch ein Flyer, der für das
nächste Medal of Honor wirbt. Aber weit und breit kein Handbuch...
Wie auch immer –
ich vermisse die Dinger. Ja ernsthaft! Einige denken sich sicher:
„Handbücher sind nur für Dummies“, oder: ,,ins Handbuch schau
ich eh nie, da zocke ich lieber gleich los“. Aber für mich hat das
klassische Handbuch, wie eingangs erwähnt, eine ganz andere
Funktion, als die alleinige Bereitstellung von Steuerungs- und
Gesundheitsinformationen.
Genau so wie das
genüssliche Abziehen der Folie, das erste Herausnehmen sowie das
erste Einlegen der Disc, ist auch das Handbuch ein wichtiger
Bestandteil beim Ritus des Spielerwerbs! Genauer gesagt, ist es das
Erschnuppern des frischen Duftes eines brandneuen Games. Und nicht
nur das – Wie wundervoll ist das Durchfliegen der Seiten des
Heftes, um die ersten kleinen Einblicke in das Spiel zu bekommen und
diese dann mit allen Sinnen aufzusaugen? Ein Handbuch verleiht dem
Spiel Gewicht: Ich halte etwas schweres in den Händen. Ich habe
etwas erworben und nicht etwa eine halbgare, werberische
Verpackungsleiche.
Unvergesslich: Die Metal-Gear-Comics |
Der Ladebalken der
Vorfreude, der nach der finalen Kaufentscheidung langsam beginnt,
sich zu füllen und nach dem Entpacken des gewünschten Spiels seinen
vorläufigen Höhepunkt erreicht, wird durch den sinnlichen Umgang
mit dem Handbuch nahe gen einhundert Prozent getrieben. Erwerben,
entpacken, einlegen, betrachten, erschnuppern, erfühlen...
Prozeduren und Rituale, die parallel zum eigentlichen Akt des
Videospielens ablaufen, können nämlich so sinnlich sein wie jener
Akt des Spielens selbst.
Zu diesen Ritualen
gehört sicher nicht nur das thematisierte kleine Beiheft: Den
physischen Erwerb des Spiels im klassischen Geschäft oder das weiter
oben erwähnte ,,Entkleiden“ der Hülle zähle ich unweigerlich
dazu. Deshalb stehe ich dem reinen Download eines Spiels nach wie vor
skeptisch gegenüber: Ich sehe nichts, fühle nichts und halte nichts
in den Händen. Stattdessen habe ich eine große Datengrütze auf der
Konsole oder auf dem PC, zu der ich keine emotionale Beziehung
aufbauen kann. Richtig verstanden: Ich baue eine Emotionale Beziehung
zu meinem physisch erstandenen Spiel auf!
Erwerben,
entkleiden, einlegen; Betrachten, erschnuppern, erfühlen... nun das
klingt etwas off-topic und vielleicht etwas merkwürdig, wenn man
erst ab diesem Absatz mit dem Lesen beginnt. Aber nein, ich habe
keine Scheu, die Sache auf den Punkt zu bringen: Das Handbuch ist
sexy.
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